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Amtsgewalt auf Tirolerisch

Ab 22 Uhr müssen die Höfe still stehen. Ein Scherz? Mitnichten. Die Agrarabteilung des Landes Tirol sieht normale Hofarbeiten als nicht mehr üblich an. Ein Praxisfall mit fragwürdigen Amtsbefunden könnte weitreichende Folgen haben.

Lesezeit: 9 Minuten

Tatort Aldrans, eine beschauliche 2700 Seelen-Gemeinde südöstlich von Innsbruck. Idyllische Ruhe im Ortskern, nur die Dorfkirche läutet die volle Stunde. Auch am angrenzenden Jagglerhof ist es sehr ruhig. Durch die offene Türe des alten Anbindestalls sieht man Kalbinnen genüsslich das Futter wiederkäuen. Ruhig geht´s auch im 2013 errichteten Freilaufstall mit 80 Milchkühen samt Jungvieh, Abkalbebox und einem 2 x 14er-Melkstand zu. Nur das leise Summen vom Futterbuttler oder einer laufenden Kuhkratzbürste ist von außen zu vernehmen.

Und auf diesem Bauernhof soll ständig ungebührlich gelärmt werden? Zudem sollen die Bauersleut unüblich wirtschaften? So zumindest die Vorhalte der zuständigen Behörden. Eines der Dutzenden Verfahren landete letztlich beim Verwaltungsgerichtshof in Wien. Dieses ging negativ für den Milchbauer Franz Gapp aus. Stein des Anstoßes war ein wetterbedingt nötiges Silageeinbringen samt Verdichten am Fahrsilo im Mai 2015 bis nach Mitternacht. Der VwGH wies die Revision des Bauern gegen den Amtsbefund der Lärmbelästigung wegen unüblicher Wirtschaftsweise ab (Erkenntnis RA2018/03/0027 vom 5. 9. 2018).

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Streitobjekt Laufstall

„Das war negativer Höhepunkt der unzähligen Verfahren seit dem Stallneubau“, berichtet der Betriebsführer. Alle kämen von einem Nachbarn, der so ungefähr jede Tätigkeit im Stall und am Hof zur Anzeige bringe.

Bestraft wurde und wird der Landwirt von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (BH) nach dem Tiroler Landes-Polizeigesetz. Dieses verbietet störenden Lärm. Eine Ausnahme gibt es allerdings für die Landwirtschaft, sofern es sich dabei um eine übliche Wirtschaftsweise handelt.

Unübliches Wirtschaften?

Eben diese übliche Wirtschaftsweise verneinen im Falle des Jagglerhofs die Stellungnahmen und Gutachten des von der BH beauftragten Amtssachverständigen. Österreichweit übliche Arbeiten wie der Heimtransport von Silageballen oder Erntearbeiten bei vorhergesagtem Wetterumschwung werden unter Strafe gesetzt, belagen die Bauersleut. Selbst abendliche oder morgendliche Tierfütterungen oder Melken vor 6 Uhr wären demnach verboten.

Faktisch wird so ein absoluter Betriebsstillstand am Jagglerhof von 22 und 6 Uhr normiert. Rechtlich hinterfragenswert, da das Landesgesetz gar keine Nachtruhezeiten vorgibt. Ausnahmesituationen und unvorhergesehene Ereignisse, die ein bis in der Nacht andauerndes Arbeiten manchmal nötig machen, werden bestraft.

Den Gapps wird dabei behördenseitig immer wieder vorgehalten, dass sie bei entsprechend vorausschauendem Betriebsmanagement die Nachtruhe einhalten und somit ungebührlichen Lärm vermeiden (hätten) können. Demnach müssten etwa Silierarbeiten mit mehreren Maschinen gleichzeitig erledigt werden – was räumlich gar nicht geht. Nur eine der Fehleinschätzungen (siehe Kasten) des ständig eingesetzten Amtsgutachters der Agrarabteilung.

Zum Beweis der aus seiner Sicht unüblichen und somit zeitlich überzogenen Arbeiten führt dieser Bilder von Wetterkameras an. Diese standen bzw. stehen den Gapps bei deren Vorabeinschätzung über Mäh- und Erntebeginn aber nicht zur Verfügung. Zudem haben sich Technik und Klima derart entwickelt, dass etwa Siliermaßnahmen  zunehmend zur späteren Tages- und Nachtzeit vonstattengehen müssen.

„Nachvollziehbare Argumente und sogar Stellungnahmen und Gutachten von Experten in Sachen Emissionen werden einfach negiert“, zeigt sich Franz Gapp erschüttert.

100 000 €-Zivilklage

Zudem gibt es seit rund zwei Jahren eine Zivilklage. Diese zielt im Wesentlichen auf die Unterlassung von ortsunüblichen Lärm- und Geruchsemissionen ab. Schon aus diesem Grund wollen die Gapps so wenig wie mögliche Schuldsprüche bekommen und legen gegen die vielen BH-Straferkenntnisse fast immer Rechtsmittel ein.

Das Haus des „Daueranzeigers,“ eines Verwandten und dessen beider Söhne, steht nahe der Hofstelle und wurde erst in den 70er Jahren erbaut. Gegenüber top agrar hält die Anrainerfamilie aber explizit fest, dass es hier „nicht um einen Familienzwist geht.“ Vielmehr ginge es um ständige Lärm- und Geruchsemissionen sowie Arbeiten oft bis in die Morgenstunden.

VwGH-Urteil mit Sprengkraft

Seit die Höchstrichter die vom Land behauptete Unüblickeit durch Abweisung der Revision eines Verfahrens im Herbst 2018 bestätigt haben, schlummert in diesem Fall ein durchaus großes Gefährdungspotential für alle Bauernhöfe Österreichs.

Tatsächlich war Landwirt Gapp bei der vom VwGH abgehandelten „Tat“ wegen eines Arbeitsunfalles schwer gehandikapt, lange drohte ihm gar eine Beinamputation. Die Mäh- und Silierarbeiten führte damals dann der minderjährige Sohn Andreas gemeinsam mit einem Betriebshelfer und einem Lohnunternehmer durch. Letzterer hatte sich verspätet, wodurch erst um 19:30 Uhr mit dem Silagetransport im Pendelverkehr von den 20 km entfernten Äckern zum Hof sowie dem Verdichten im Fahrsilo begonnen werden konnte. Trotz mündlicher Verhandlung ließ der VwGH die Einwände links liegen.

Für ein wirtschaftliches Überleben nötige Betriebserweiterungen und Arbeiten zu Spitzenzeiten laufen daher Gefahr – obwohl sie dem Stand der Technik entsprechen – auch außerhalb Tirols zu ortsunüblichen Wirtschaften erklärt zu werden. Denn die Polizei- bzw. Sicherheitsgesetze der übrigen Länder sind ähnlich wie das Tirolerische gestrickt. Noch 2002 hatte der VwGH ein mehrtägiges Silobefüllen als von den Anrainern zu erduldendes Ereignis, das nur mehrere Male pro Jahr vorkomme, anerkannt (2000/06/0081). Mit dem „Leiturteil Gapp“ scheint dies aber nun passé zu sein.

Absurdität oder Willkür?

Derweil laufen die Verfahren weiter. „Die Prüfungen der BH dauern sehr lange“, bemängelt Gapp. Einige konnte Gapp gewinnen bzw. wurden diese von agrarisch bewanderten Richtern des Landesverwaltungsgericht (LVG) eingestellt. In vielen anderen wurden die Strafen gekürzt.

„Derzeit liegen an die 40 Beschwerden beim LVG“, berichtet Gapp´s Rechtsvertreter Dr. Harald Schöntzlinger. Dessen Schilderungen legen nahe, dass das Ganze nicht nur „ans Absurde grenzt“ sondern dabei vielmehr Willkür vermutet werden könne. So wurde unabhängig vom „Dauerproblem Amtssachverständiger“ in ein und dem- selben Verfahren Gapp Senior frei-, sein Sohn letztlich aber schuldig gesprochen.

Auch setzte es schon mal Strafen für ein Arbeitsüberziehen um wenige Minuten auf 22:10 Uhr. Wegen vorgeblichem Lärm der Melkanlage haben die Gapps neben dem Frequenzregler noch einen zusätzlichen Schalldämpfer eingebaut. Selbst das Muhen der Kühe war bereits mehrfach Thema.

Stummer Bauernbundchef

Auf den kuriosen Fall angesprochen, sieht Tirols Agrarreferent Josef Geisler weder Rechtsprobleme noch Auswirkungen. Zudem sei er gar nicht für den Vollzug des Polizeigesetzes zuständig. Andererseits sei im VwGH-Fall das Gutachten seiner Agrarabteilung ohnedies gerichtlich geprüft worden.

Das Problem der fragwürdigen Inhalte und der vielleicht doch in Zweifel zu ziehenden Objektivität bei Dauer-Begutachtung durch einen einzelnen Beamten, sieht Geisler nicht. Auch von rollierenden Einsätzen der Amtsgutachter will er nichts wissen. Auf die Frage nach einem Katalog üblicher Bauernarbeiten, damit Einschätzungen objektiviert werden können, ging der Vize-LH gleich gar nicht ein. In seiner Eigenschaft als Tiroler Bauernbundobmann beantwortete Geisler die top agrar-Fragen gleich gar nicht.

Neulich haben selbst agrarunkundige LVG-Richter den immer gleichlautenden Amtsachverständigenbefund der Unüblichkeit in zwei Fällen verneint. Zudem dürften private Lärmgutachten die Gapps entlasten. Vielleicht kleine Hoffnungsschimmer in dieser vertrackten Posse.

„Ansichten“ des Landes Tirol

Bei Durchsicht der Stellungnahmen und Amtsgutachten der Tiroler Agrarabteilung bezüglich des Jagglerhofes finden sich viele hinterfragenswerte Stellen und Argumentationen. Einige davon hat top agrar Landwirten und auch ministeriellen Sachverständigen vorgelegt. Nachfolgend ein paar Kostproben aus den eigenartigen Amtsbefundungen, die das behauptete unübliche Wirtschaften begründen sollen:

Land Tirol: Das Einbringen einer Silage bis 22 Uhr ist planbar und gehört demnach nach dieser Zeit nicht mehr zur üblichen Bewirtschaftung in der Landwirtschaft.

RICHTIG: Die Fertigstellung einer Silage bis 22 Uhr ist weder exakt planbar noch technisch durchführbar und ist von vielen Faktoren abhängig. Insbesondere sind Wettersituation, Verfügbarkeit von Lohnunternehmen, Gebrechen an Maschinen/Geräten, Verkehrssituation etc., vom Landwirt nicht beeinflussbar.

Land Tirol: Das Einbringen von Siloballen an die Hofstelle ist in den Nachtstunden nicht notwendig, weil die Krähen in den Nachtstunden sowieso nicht aktiv sind. Es gibt auf diesen Flächen auch keine Krähen.

RICHTIG: Krähen werden ab etwa 4:30 Uhr morgens aktiv. Ab dieser Zeit sind die Landwirte mit dem Melken und anderen Stallarbeiten beschäftigt. Bis die Siloballen im Laufe des Vormittags dann eingebracht werden können ist der Schaden an den Folien bereits angerichtet.

Land Tirol: Das Futtermischen um 21:11 Uhr und die anschließende Fütterung sowie das Nachschieben des Futters am Futtertisch um 22:04 Uhr ist in der Landwirtschaft unüblich.

RICHTIG: In der täglichen Arbeit mit Nutztieren und zahlreichen Maschinen und Geräten kann dies durchaus nötig sein und ist somit landes- und bundesweit auch üblich.

Land Tirol: Befüllen und Betrieb der Kraftfutterstation nach 22 Uhr sind in der Landwirtschaft unüblich.

RICHTIG: Das Befüllen sowie der Betrieb einer Kraftfutterstation über täglich 24 Stunden ist auf hunderten Betrieben österreichweit üblich. Die Tiere sind auch in der Nacht aktiv.

Land Tirol: Das Reinigen des Futtertisches (Anm. d. Red.: Beischieben des Futters) vor 6 Uhr am Morgen ist in der Landwirtschaft unüblich.

RICHTIG: Viele Bauern beginnen sogar in derselben Ortschaft mit den Stallarbeiten bereits um 5 Uhr oder früher. Das Beischieben des Futters vor der nächsten Fütterung gehört zu diesen morgendlichen Tätigkeiten und gilt als genereller Standard.

Land Tirol: Das Einbringen von Silomais bis 22:10 Uhr liegt im Bereich einer nicht kalkulierbaren Verzögerung. Ein Silieren von Silomais bis 22:48 Uhr ist in der Landwirtschaft unüblich.

RICHTIG: Das Einsilieren und Einbringen benötigt oft mehrere Tage. Dies ist auch abhängig, wieweit entfernt sich die (Pacht-)Flächen von der Hofstelle befinden sowie von der Verkehrslage. Zudem ist es weder wetter- noch gerätetechnisch möglich, eine detaillierte Planung vorzunehmen.

Land Tirol: Größe und Länge eines Fahrsilos spielt bei der üblichen Wirtschaftsführung keine Rolle und ist damit fürs Management und den zeitlichen Ablauf des Einsilierens nicht von Relevanz. Es gibt ausreichend Lohnunternehmer in der Umgebung.

RICHTIG: Größe und Länge des Fahrsilos ist der absolut limitierende Faktor bei der Silierung. Der mengenmäßige Silageantransport wird von den Möglichkeiten der Verdichtung am Fahrsilo bestimmt. Die fachgerechte Verdichtung bestimmt wiederum die Silagequalität. Eine höhere Anzahl an Transportgeräten bringt keinen Zeitgewinn. Am Betrieb vorliegende Fahrsilos samt deren Kubaturen waren Teil des Baugenehmigungsverfahrens; jede Beurteilung ist auf die genehmigte Situation abzustellen.

Land Tirol: Das Befüllen eines Güllefasses bis 22:07 Uhr ist in der Landwirtschaft unüblich.

RICHTIG: Emissionstechnisch ist das Gülleausbringen in der kühleren Tageszeit absolute Empfehlung. Zudem ist auf die Windverhältnisse Bedacht zu nehmen. Gerade in den Abend- und Morgenstunden ist es eher windstill. Ein letztmaliges Befüllen des Güllefasses am Abend dient der Lärmvermeidung am Morgen.

Kontakt: spanring@topagrar.at

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