Noch bis Jahresende gilt die Übergangsphase in der Biotierhaltung. Strengere Spielregeln gelten dann ab 2022. Der neueste Erlass in Sachen Auslauf und Weide lässt aber viele Fragen offen und verunsichert die tierhaltenden Biobauern massiv.
Wir wollen unbedingt in Bio bleiben, doch dieser Erlass macht uns das sehr schwer“, klagt Rinder- und Ziegenbauer Fritz Gittmaier. Auch sein Berufskollege Martin Tüchler ist mit der jüngsten Verlautbarung des Sozialministers alles andere als glücklich. Zu viele Fragen sind bei der Umsetzung der absoluten Weidepflicht noch offen (siehe Reportagen auf Seite 24). Dutzende Tierhalter haben deswegen bereits aufgegeben (siehe top agrar 9/2020, Seite 16ff).
Nur mehr vier Ausnahmen
Die im heurigen zweiten Umstellungsjahr hierzulande noch gültige Sonderregelung (Weiden von 50% der RGVE bzw. 1 RGVE/ha weidefähiger Fläche) läuft mit Jahresende aus. Die neuen Auslauf- und Weidevorgaben ab 2022 sehen vor, dass alle raufutterverzehrenden Nutztiere (Rinder, Schafe, Ziegen, Pferdeartige) geweidet werden müssen. Generell gelten gemäß der EU-Bio-Verordnung dann nur mehr folgende zulässige Ausnahmen von der Weideverpflichtung:
- Witterungsbedingungen,
- jahreszeitliche Bedingungen,
- Zustand des Bodens sowie
- EU-rechtliche Einschränkungen.
Vorgaben für Auslauf & Weide
Die Biobauern müssen bei ihren Tieren im Stall bestimmte Besatzdichten, Mindeststallflächen und Mindestaußenflächen (Auslauf) einhalten (siehe Übersicht 1). Zudem sind unter anderem zur Stärkung der Tiergesundheit auch regelmäßige Bewegung und Zugang zu Freigelände und Weide vorgeschrieben.
- So müssen die Biotiere Zugang zu Weideland haben, wann immer die Umstände dies gestatten.
- Zudem müssen alle über ein Jahr alten männlichen Rinder Zugang zu Weide oder Auslauf bekommen.
- Wenn die Tiere während der Weidezeit (April bis Oktober) Zugang zur Weide und bei der Stallhaltung im Winter Bewegungsfreiheit genießen, müssen sie während der Wintermonate keinen Auslauf oder Weide haben.
- Die Aufzuchtsysteme müssen – je nach Verfügbarkeit von Weiden – ein Maximum an Weidegang gewährleisten. Erlaubt ist auch die Beweidung von Almen und Gemeinschaftsweiden.
Haltungsform entscheidend
Der erforderliche Zugang zu Auslauf und Weide hängt von der jeweiligen Haltungsform der Tiere ab. Dazu hat das Sozialministerium vier Kategorien festgelegt und die jeweiligen Vorgaben beschrieben (siehe Übersicht 2).
Es gibt aber auch Fälle, bei denen auf Auslauf oder Weide zeitlich begrenzt verzichtet werden kann:
- bei behördlicher Anordnung zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier (z.B. im Seuchenfall);
- zudem aus Witterungsgründen, jahreszeitlichen Bedingungen (z.B. Wintermonate) oder wegen dem Bodenzustand (z.B. Trockenheit, aufgeweichter Boden nach Regenperiode, Unwetter);
- bei kranken oder verletzten Tieren oder aus anderen veterinärmedizinischen Gründen. Doch dies muss zwingend erforderlich und gerechtfertigt sein. Der Tierhalter muss diese Fälle entsprechend schriftlich dokumentieren und begründen.
Kann ein Betrieb keine Weide bieten oder sind diese schwer bis nicht erreichbar, führt das zu keiner erlaubten Einschränkung der Weidepflicht.
Viele von den Verschärfungen betroffenen Biobauern haben versucht, genügend Weideflächen anschließend oder nahe der Hofstelle anzulegen bzw. diese auszuweiten. In manchen Lagen gibt es diesbezüglich aber nur wenig bis keinen räumlichen Spielraum.
Noch viele Fragen offen
Doch die Flächenfrage ist nur ein Aspekt. Es gibt noch jede Menge weiterer und ungeklärter Fragestellungen, die rasch gelöst werden müssen. Dementsprechend verunsichert sind die Bauern. Hier ein kleiner Ausschnitt der vielen offenen Fragen der Praktiker:
- Größte Probleme macht offensichtlich die Weidepflicht bei den Jungtieren (Kälber, Lämmer, Kitze). Nicht jeder Betrieb hat genügend Flächen, um gruppenspezifische Koppeln anzulegen. Zudem kann man Kälber schlecht mit Milchkühen zusammenspannen, die sind ja keine Mutterkühe.
- Es stellen sich auch Fragen der Sicherheit von Mensch und Tier, speziell beim (täglichen) Weideaustrieb. Daraus ergeben sich wiederum betriebsspezifische Haftpflichtfragen.
- Ebenso gibt es beim Weidemanagement offene Fragen: Wie kann man dieses praxistauglich umsetzen? Wie können Melkroboter-Betriebe ohne genügend hofnahe Weideflächen die Weidepflicht bewerkstelligen? Oder: Wie begegnet man dem Weideparasitendruck bei den Kälbern?
- Wie schaut es beim Futterbau aus, etwa in Dürrejahren?
- Wer haftet für ausgeführte Ratschläge bzw. umgesetzte Vorgaben?
Fragen über Fragen. Die Kontrollstellen wie auch Bio Austria streben trotzdem keine zusätzlichen gesetzlichen Regelungen an. Vielmehr müsse es einen Konsens über die durchführbaren Vorgaben und deren Interpretationen geben, meint etwa der ehemalige grüne Agrarsprecher Dr. Wolfgang Pirklhuber. „Gerade in einzelnen Regionen wird es ohne gewissen Interpretationsspielraum nicht gehen“, ist sich der Sprecher der IG-Kontrollstellen sicher.
Außerdem dürfe man die EU-Bio-Verordnung in Sachen Weidepflichtauslegung nicht ausschließlich durch die nationale Brille sehen. „Ein unterschiedliches Vorgehen in den einzelnen EU-Ländern brächte ungleiche Voraussetzungen für unsere Bauern“, tönt es vonseiten des Bio Austria-Verbandes.
Tagung soll Fragen klären
Um Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Auslegungen einzudämmen und auch die offenen Fragen zu klären, soll es Anfang Juni eine öffentliche Fachtagung geben. Neben den beiden Ministerien (Soziales, Landwirtschaft) sind mit dabei: LK, Bio Austria, IG-Kontrollstellen, HBLFA Raumberg-Gumpenstein sowie Vertreter aus dem Ausland und der EU-Kommission. Auf deren gemeinsame Lösungskompetenz setzen auch die betroffenen Bauern wie Tüchler und Gittmaier. Denn die Zeit drängt: Abgabetermin für den Weideplan 2022 ist bereits Ende Juni.
spanring@topagrar.at