Die Zahl der Wölfe in den Alpenländern steigt. Damit auch die Zahl der gerissenen Schafe und Rinder. Wie ist die aktuelle Situation in Österreich, Süddeutschland und der Schweiz? Mit welchen Maßnahmen sollen Weidetiere geschützt werden?
Kein Blatt vor den Mund nahm kürzlich Hermann Schultes auf einer Klartext-Veranstaltung der LK Österreich zum Thema „Der Wolf im Alpenbogen“. Emotionsgeladen wies der Präsident mit der Aussage „hier regiert der Wolf“ auf die derzeitige Ohnmacht der Landwirtschaft gegenüber dem Raubtier hin.
Zum einen habe der Wolf eine starke Lobby in der Bevölkerung und bei den NGOs. Letztere bezeichnen den Wolf gern als natürlichen und unverzichtbaren Bestandteil heimischer Ökosysteme und begrüßen seine Rückkehr durch natürliche Ausbreitung ausdrücklich.
Können nur tatenlos zusehen:
Viel schlimmer aber für alle Weidetierhalter: Wölfe genießen laut FFH-Richtlinie europaweit einen umfassenden Schutz. „Nach aktueller Rechtslage können Bauern deshalb nur tatenlos zusehen, wenn ein Wolf ihre Schafe, Ziegen oder Rinder reißt“, so Schultes. „Die Wölfe holen sich, was sie wollen, und wir haben keine Handhabe. Je länger diese Lage anhält, desto mehr Bauern werden mit der Almwirtschaft aufhören.“
Einer, der seine Konsequenzen bereits gezogen hat, ist Josef Zandl, Betriebsleiter von Gut Fischhorn in Bruck an der Glocknerstraße. Er kann ein trauriges Lied vom Wolf singen. Auf die rund 1 000 ha Almflächen des Betriebes wurden bis zum Jahr 2015 neben den eigenen gut 250 Rindern regelmäßig auch Schafe von Bauern aus der Region (Zinsvieh) aufgetrieben.
50 % der Schafe Opfer des Wolfes:
Im Sommer 2015 änderte sich dies abrupt. Zunächst wunderte sich Zandl, der auch Wildökologe ist, über Veränderungen beim Rotwild. „Die Hirsche waren Ende Juni mit einem Mal sehr scheu und gingen auch nicht mehr so weit hinauf.“ Den ersten Schafriss stellte Zandl dann im Juli 2015 fest. „Zuerst haben wir noch an einen Hund gedacht“, so der Betriebsleiter.
Doch dann fanden er und andere Landwirte bzw. Jäger zunehmend Indizien, wie Fährten etc., für das Auftreten eines Wolfes. Kurze Zeit später hatte er die Gewissheit, da der Wolf in eine Fotokamera getappt war. „In dieser Zeit wurden fast täglich tote Tiere gemeldet, die meisten kamen durch Absturz über steile Felswände ums Leben, die anderen wurden vom Wolf gerissen.“
Die erschreckende Bilanz am Ende der Weidezeit: Von 127 aufgetriebenen Schafen starben 68 Tiere, dazu noch zwei Kalbinnen. Die alarmierte Salzburger Landesregierung bestellte sogleich Österreichs Wolfsbeauftragten Georg Rauer aus Bad Vöslau in den Pinzgau. Dieser konnte allerdings keine eindeutigen DNA-Spuren eines Wolfes finden. „Dies ist aber auch kein Wunder“, so Zandl. „Denn es handelt sich um ein sehr schwieriges Gelände zwischen 1 500 bis 2 400 m Seehöhe.“
Somit war in diesem Fall ein wissenschaftlich anerkannter Wolfsnachweis nicht möglich. „Dabei ist dieser Grundlage für die Entschädigung der Viehverluste“, erklärt Zandl. In diesem Fall betrug der Sachschaden ca. 15 000 €. Zum Glück für die Tierhalter entschädigte ihnen das Land Salzburg die Schäden auf dem Kulanzweg.
In NÖ und OÖ stoppten die Landesjagdverbände 2017 die Entschädigung. Seither übernehmen die Landesregierungen die Schadensdeckung für nachweislich von einem Wolf gerissene landwirtschaftliche Nutztiere.
Keine Tiere mehr auf die Alm:
Zurück zum Gut Fischhorn: „Für uns betrugen die höheren Aufwendungen für Behirtung, Beweissicherung, Zaunreparatur und Verwaltung etwa 5 000 €“, so Zandl. „Diesen standen Einnahmen von lediglich 900 € durch Weidezins und Almförderung gegenüber.“ Besonders ärgerlich für Zandl: „Unsere Mehraufwendungen wurden uns aus rechtlichen Gründen nicht vom Land entschädigt.“
Logische Konsequenz für Zandl: Es werden keine Tiere mehr auf die Alm getrieben. „Schließlich können wir nicht mehr für die sichere Verwahrung der Schafe am Berg garantieren. Zudem stehen die notwendigen Mehraufwendungen in keinem Verhältnis zum Ertrag.“
Zandl betont gegenüber top agrar, dass er persönlich nichts gegen Wölfe habe. Aber „eine naturnahe Weidewirtschaft und der Wolf sind einfach nicht kompatibel. Meine Prognose lautet deshalb: Wenn sich Wölfe in Österreich etablieren, dann wird Grundeigentum mit Viehwirtschaft zunehmend verschwinden. In unserem Betrieb ist es jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass sich der Eigentümer zur Aufgabe der Almwirtschaft entscheiden wird.“
Welche Schutzmaßnahmen gegen den Wolf kommen in Frage? Von Tierschützern wird hier gerne empfohlen, bei den Nutztieren Rassen mit erhöhter Abwehrneigung gegenüber Wildtieren einzukreuzen. Georg Doppler, Mutter-kuhhalter aus Waizenkirchen in OÖ, hat dies versucht – und, um es gleich vorweg zu nehmen – ist kläglich gescheitert. Doppler beschäftigt sich seit einem Besuch von Züchterkollegen im Raum Berlin eingehend mit dem Thema Wolf und Weidetierhaltung.
Von hier brachte er auch die Idee mit, in seine genetisch hornlose Blonde d´Aquitaine Herde die Rasse Brahman einzukreuzen. „Diese hat eine „erhöhte Abwehrneigung gegenüber Wildtieren“, so Doppler. Der Landwirt belegte versuchsweise drei Kühe mit importiertem Brahman-Sperma. Drei weibliche Kälber gingen daraus hervor. Doch die Erfahrungen damit haben ihn desillusioniert.
„Von Geburt an haben sich diese Kreuzungen anders verhalten als ihre sehr gutmütigen Mütter“, so der Landwirt. Sie waren extrem nervös, scheu und angriffslustig und entwickelten sich bei der täglichen Arbeit im Stall und auf den Weiden zu einer wachsenden Gefahr für Dopplers. Sein Fazit: Für das kleinstrukturierte Österreich, wo Touristen und Rinder bei der üblichen Haltung auf Weiden und Almen regelmäßig aufeinandertreffen, ist der bewusste züchterische Verzicht auf einen ruhigen Charakter zum Schutz vor dem Wolf ein Irrweg!“
Als ein möglicher Schutz werden wolfssichere Zäune genannt. Doch dagegen sprechen mehrere Gründe. Einen davon nennt Rupert Quehenberger, Obmann der BBK Hallein: „Um wirklich Schutz vor dem Wolf zu bieten, müsste so ein Zaun einen halben Meter tief in die Erde eingegraben werden. Das ist auf den Almen aufgund des felsigen Untergrundes oft gar nicht möglich.“ Davon abgesehen wären solche Zäune aus Sicht von Quehenberger in Tourismusregionen schon aus optischen Gründen undenkbar.
Schutzzäune viel zu teuer:
Nicht zu vergessen: Wie sollten solche Schutzzäune finanziert werden? Bayern hat dazu gerade erst eine Studie veröffentlicht. Hier wäre eine Gesamtstrecke von fast 60 000 km mit wolfssicheren Weidezäunen zu bauen. Die Investionssumme würde deutlich über 300 Mio. € ausmachen. Zudem würden jährliche Folgekosten von 35 Mio. € entstehen. Fazit: Ein Schutz mit Zäunen wäre unfinanzierbar.
Als weitere Schutzmaßnahme wird der Einsatz von Herdenschutzhunden ins Spiel gebracht. Für Josef Zandl von Gut Fischhorn scheidet diese Lösung schon deshalb aus, weil „durch die Almgebiete Wanderwege führen. Da wären Konflikte zwischen Herdenschutzhunden und Wanderern vorprogrammiert.“ Das gilt vor allem für solche, die mit Hunden unterwegs sind. Denn Hütehunde verteidigen ihre Herde gegen alle Eindringlinge. Wenn etwas passiert, ist der Halter in der Pflicht.
Außerdem müssten hier Kosten und Nutzen berücksichtigt werden, ergänzt BBK-Obmann Quehenberger. „Schließlich geht es hierbei um lediglich etwa drei Monate Almbetrieb im Jahr. Und was macht man die übrige Zeit des Jahres mit den Hunden?“, fragt Quehenberger.
Ein Modellversuch zum Schutz von Nutzviehherden im Osttiroler Kals wurde nach zwei Jahren eingestellt. Laut Georg Höllbacher, Obmann der Nationalen Beratungsstelle für Herdenschutz, hätten zu viele Faktoren – von Haftung bis Tierschutz – einem Erfolg entgegengestanden.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtete Martin Keller auf der Klartext-Veranstaltung. „Der Herdenschutz mit Hunden bietet leider keinen vollständigen Schutz gegen den Wolf“, so der Landwirt und Präsident der Vereinigung zum Schutz der Weidetierhaltung in der Schweiz. Zudem sei die Anschaffung, Ausbildung, Haltung dieser Hunde mit großem Aufwand verbunden. Kellers Schlussfolgerung: Herdenschutz mit Hunden funktioniere nur, wenn der Wolf gleichzeitig reguliert werden könne.
FFH-Richtlinie ändern!
Genau dies fordern auch immer mehr Experten und Interessenvertreter in Österreich. „Wir werden wohl mit dem Wolf leben müssen. Deshalb brauchen wir Instrumente, um ihm Grenzen zu setzen“, so Hermann Schultes. Dazu sei es notwendig, die EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie so zu ändern, dass geregelte Entnahmen bzw. im Ernstfall Abschüsse möglich werden. „Dafür müssen wir den Wolf in den Anhang 5 der FFH-Richtlinie bringen“, fordert Schultes.
Unterstützt wird er hier von Georg Höllbacher: „Herdenschutz funktioniert nur zusammen mit Bejagung. Es muss einen Spielraum geben, der auf Naturschutz- und Landwirtschaftsseite Konsenz findet. Derzeit ist es aber so, dass ich meine Tiere nicht schützen kann.“
In die gleiche Richtung zielt ein gemeinsames Positionspapier, das der Salzburger und Tiroler Bauernbund, die LK Österreich, der Südtiroler Bauernbund und der Bayerische Bauernverband vor Kurzem herausgebracht haben. Darin fordern die Interessenvertreter zur Aufrechterhaltung der bisher üblichen Weidewirtschaft praktikable Regelungen und Möglichkeiten für Bestandsregulierungen bei großen Beutegreifern, bis hin zur vollständigen Entnahme.
Weiters fordern die Bauernvertreter wie auch die im Dachverband „Jagd Österreich“ zusammengeschlossenen österreichischen Jäger, wolfsfreie Zonen über die wildökologische Raumplanung zu schaffen. Als Vorbild diene laut Jagd Österreich das Rotwild-Bewirtschaftungsmodell. LK-Präsident Schultes formulierte es auf der Klartext-Veranstaltung wie folgt: „Wir müssen tolerierte Lebensräume festlegen, wie Kernzonen, Korridorzonen und Freizonen, die diese Raubtiere von Nutztieren und Erholungssuchenden fernhalten.“
Dies sieht auch Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie an der Vet. Med so. Derzeit sei aber die Ausweisung von Freizonen, in denen eine bestimmte Wildart nicht toleriert werden kann, in der FFH-Richtlinie nicht vorgesehen. Aber es gibt Hoffnung. „Bei großen Beutegreifern sei die EU-Kommission aufgeschlossen gegenüber länderübergreifenden Ansätzen“, fügt Arnold hinzu.
Auf keinen Fall dürfen Landwirte auf Kosten sitzen bleiben, die ihnen durch den Wolf entstehen, fordern die Interessenvertreter aus Österreich, Deutschland und Südtirol weiter. Der Staat müsse alle Kosten übernehmen, die der Land- und Forstwirtschaft durch große Beutegreifer entstehen.
WWF gegen Abschuss:
Beim WWF Österreich stoßen die Forderungen der Landwirtschaft zum Schutz der Weidetiere auf ein geteiltes Echo. So erklärt Christian Pichler, Wolfsexperte beim WWF, zwar, dass „es im Interesse der Almbauern höchste Zeit ist, dass die Politik die Viehhalter aktiv unterstützt.“ Aber das Wie unterscheidet sich doch sehr von den Forderungen der Landwirtschaft. Der WWF fordert ein besseres Management mit höheren Entschädigungen und Herdenschutzmaßnahmen. Pichler: „Die Österreicher erwarten sich von der Politik, dass erprobte Lösungen in der Prävention zur Anwendung kommen.“
Pichler spricht sich zwar für einen konstruktiven Dialog aus. Allerdings nicht ohne hinzuzufügen, dass „Forderungen nach Abschussquoten und einem niedrigeren Schutzstatus nicht nur geltendes Recht ignorieren, sondern auch die große Mehrheit der Bevölkerung, die eine Rückkehr des Wolfes befürwortet.
Dazu findet Halleins BBK-Obmann Rupert Quehenberger klare Worte: „Wer nicht in einem vom Wolf besiedelten Gebiet lebt und nicht weiß, was es bedeutet, wenn Nutztiere von dem Raubtier gerissen werden, kann schnell vom Schutz des Wolfes sprechen.“ Quehenbergers Fazit: „Entweder wir haben Wolfs- oder Weidegebiet. Dazwischen gibt es aus meiner Sicht nichts.“
Und LK-Präsident Hermann Schultes ergänzt: „Die hohe Vermehrungsrate der Wölfe drängt zu raschem Handeln: Wir können nicht zuwarten, den Wölfen Grenzen zu setzen, bis nur noch Emotionen die Diskussion bestimmen. Wir brauchen rasch die dafür notwendigen einstimmigen Beschlüsse aller EU-Umweltminister.“