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Bodenverbrauch und seine Auswirkungen

Brauchen dringend eine Raumplanung neu

„Österreich ist nach wie vor Europameister im negativen Sinn, was die tägliche Verbauung für Straßen, Gewerbeflächen oder Einkaufszentren betrifft“, so Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, in seinen einleitenden Worten zum gemeinsamen Pressegespräch zu diesem Thema mit Mag. Simon Tschannett, Meteorologe, Stadtklimatologe und Geschäftsführer Weatherpark GmbH.

Lesezeit: 7 Minuten

Im Jahr 2002 wurde in der Nachhaltigkeitsstrategie der damaligen Bundesregierung der Zielwert des täglichen Bodenverbrauchs mit 2,5 Hektar pro Tag festgelegt. Täglich werden allerdings nach wie vor 11,5 Hektar wertvollste Äcker und Wiesen (umgerechnet rund 16 Fußballfelder) durch Verbauung zerstört. "Das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie wurde damit klar verfehlt", sagte Weinberger. "Gleichzeitig haben wir aber in Österreich mit 1,67 m² die größte Supermarktfläche pro Kopf, mit 15 m pro Kopf das längste Straßennetz und auf der anderen Seite stehen Immobilien in der Größenordnung der Stadt Wien (= 40.000 Hektar) leer. Die Folgen sind laut Weinberger fatal:

  • Zubetonierter Boden kann kein Wasser speichern, der Grundwasserspiegel sinkt dadurch. Die Folge: Österreichs Seen geht das Wasser aus! Besonders betroffen ist der Osten Österreichs, etwa der Neusiedler See oder der Anemonensee in Wiener Neustadt.
  • Zubetonierter Boden kann keinen Kohlenstoff speichern, die Temperaturen in den Städten steigen massiv. Während es in den 80/90iger Jahren nur 6 Hitzetage pro Jahr – also Tage mit über 30 Grad – gab, sind es mittlerweile im Durchschnitt 20 solcher Tage pro Jahr. Im heurigen Jahr zählen wir bereits mit heutigem Stichtag 25 Hitzetage, also mehr als das Vierfache und ein absoluter Rekordwert – Tendenz steigend.
  • Zubetonierter Boden führt zu einem weiteren Verlust der Selbstversorgung bei regionalen Lebensmitteln. Bereits jetzt ist Österreich bei der Eigenversorgung mit regionalen Lebensmitteln sehr verletzbar. Ein paar Beispiele dazu: Der Selbstversorgungsgrad bei Weizen beträgt aktuell nur mehr 88 Prozent, bei Obst und Gemüse jeweils rund 50 Prozent oder bei Soja gar nur 20 Prozent. Daher: Wer Sicherheit will, darf seine Böden nicht zubetonieren!
  • Zubetonierter Boden führt zu massivem Verlust der Biodiversität. So stellt die Europäische Umweltagentur Österreich ein schlechtes Zeugnis aus: Rund 80 Prozent der bewerteten Arten und Lebensräume in Österreich sind in keinem "guten Zustand", womit Österreich nur auf dem vorletzten Platz von 28 untersuchten Ländern liegt. Man muss aber bedenken: In einer Handvoll Erde leben mehr Lebewesen als Menschen auf der Erde. In den vergangenen 30 Jahren hat Österreich bereits 70 Prozent seiner Wirbeltierbestände eingebüßt. Schuld daran ist die Zerstörung von Lebensräumen durch den Menschen. Beispiel: Ohlsdorf in Oberösterreich, wo 18 Hektar Wald - davon 6 Hektar von den Bundesforsten - gerodet und für immer zerstört wurden.
  • Zubetonierter Boden nimmt uns Erholungsraum und hat Auswirkungen auf den Tourismus. Laut MARKET-Umfrage sagen 4 von 5 ÖsterreicherInnen, das Tourismusland Österreich ist massiv gefährdet.

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„Angesichts dieser Fakten gelte es, dass 2,5-Hektar-Ziel der Bundesregierung, verankert auch im Regierungsübereinkommen, rasch umzusetzen. Das Thema „Stopp dem Bodenverbrauch“ muss oberste Priorität für Österreich haben.

Die Länder als Verantwortliche in der Gesetzgebung in puncto Raumordnung sind daher gefordert, rasch Maßnahmen zu setzen. Ansonsten wird es in der Bundeshymne in absehbarer Zeit heißen: Österreich ein Land ohne Äcker zukunftslos“, so Weinberger.

Tschannett: Mehr Rücksicht auf Hitzewellen

„Schöne große Plätze, oft gepflastert oder betoniert: Auf den ersten Blick autofreie Fußgängerzonen in Innenstädten. Auf den zweiten Blick im Sommer extreme Hitzeinseln und alles andere als klimafit. Die Zubetonierung von Innenstädten hat zur Folge, dass sich diese immer weiter aufheizen. Versiegelte Flächen können Temperaturen bis zu 50 Grad erreichen, dunkel asphaltierte Flächen sogar bis zu 70 Grad. Fakt ist jedoch, dass die Städte mehr Naturraum brauchen, wenn man der Hitze etwas entgegensetzen will", meinte Tschannett. In der Stadtplanung müssten sowohl beim Bestand als auch beim Neubau große begrünte Flächen mitgedacht werden, weil dort lokal Kaltluft entstehen kann und diese für Abkühlung sorge. "Im Umland von Städten produzieren Wälder, Äcker und Wiesen Kaltluft, die bis in die Innenstädte hineinwirkt. In den Städten ist die Oberflächentemperatur bei begrünten Flächen, die auch genügend Wasser zur Verfügung haben, viel geringer – oftmals sogar so gering wie die Lufttemperatur. Für die Bewohnerinnen und Bewohner also weit erträglicher. Und im Schatten eines Baumes wirkt auch noch die Verdunstungskälte", so der Meterologe weiter. Somit sei in unversiegelten, begrünten Bereichen die gefühlte Temperatur um vieles angenehmer. Die Hitze sei unter Tags also viel besser auszuhalten.

Tschannet: "Aktuell sind unsere Städte aber nicht für den Klimawandel gerüstet. Viele wurden für ein anderes, kühleres Klima gebaut, Grünflächen, wie Felder, wurden durch Verbauung zerstört. Daher ist es unbedingt nötig, in der Stadtplanung mehr Rücksicht auf Hitzewellen zu nehmen und mit dem jeweils passenden Mix aus Maßnahmen unsere Städte ans neue, heißere Klima anzupassen. Die etwa auch für die Kaltluftproduktion verbliebenen Äcker und Wiesen müssen sofort vor Verbauung geschützt werden.“ Tschannett spricht sich für mehr Naturraum in und um Städten (Stichwort Speckgürtel) aus. Eine Vision, wie unsere Städte und Gemeinden klimafit sind und werden können, ist übrigens auf www.KlimaKonkret.at zu finden.

Maßnahmenbündel für weniger Bodenverbrauch notwendig

Um das 2,5-Hektar-Ziel zu erreichen, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Diese Maßnahmen sind auch geeignet, um die Schönheit Österreichs weiterhin zu bewahren, das Klima und die Umwelt zu schützen, die Biodiversität aufrechtzuerhalten, die Lebensmittelversorgung auch weiterhin sicherzustellen und um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken:

  • Laut Umweltbundesamt gibt es in Österreich 40.000 Hektar leerstehende Gewerbe-, Industrie- und Wohnimmobilien (das entspricht der Fläche der Stadt Wien).Eine Revitalisierung dieser Brachflächen ist aber finanziell aufwendiger als ein Neubau auf der grünen Wiese. Daher braucht es monetäre Anreizsysteme für eine Revitalisierungsoffensive leerstehender Immobilien.
  • Innenentwicklung vor Außenentwicklung: Baulandausweisungen sollen nur noch dann genehmigt werden, wenn die betreffende Gemeinde nachweisen kann, dass keine angemessenen Innenentwicklungspotentiale verfügbar sind.
  • Schutz besonders wertvoller Flächen (landwirtschaftlicher Vorrangflächen), wie am Beispiel der Schweiz, wo die produktivsten Landwirtschaftsböden für die Ernährungssicherung der Bevölkerung gesetzlich vor Verbauung geschützt sind.
  • Vermehrtes Bauen in die Höhe und in die TiefeAusbau des öffentlichen Verkehrs, da dieser weniger Fläche in Anspruch nimmt.

„Neben diesem Maßnahmenbündel braucht es auch ein volkswirtschaftliches Umdenken. Nicht die Natur braucht uns, sondern wir brauchen die Natur. Daher müssen wir die Natur schützen und endlich einen Wandel hin zu einem intelligenteren Wirtschaftsdenken einleiten. Unbegrenztes Wirtschaftswachstum mit Gewinnmaximierung zu Lasten der Natur ist heute nicht mehr zeitgemäß. Das ist altes Denken. Daher dürfen wir den Wohlstand einer Gesellschaft nicht allein an einer einzigen Kennzahl, dem Bruttoinlandsprodukt, bemessen. Wirtschaft muss neu gedacht werden! Wir müssen in die jährliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auch die Kennzahl Naturkapital aufnehmen“, so Weinberger.

Der Boden ist ein Wunderwerk

Faktum ist laut Weinberger: "Der Boden ist ein Wunderwerk und eine nicht erneuerbare wertvolle Ressource, die für das Leben auf der Erde von entscheidender Bedeutung ist: Dieses Wunderwerk Boden liefert uns Lebensmittel, Energie und Rohstoffe, bindet Kohlenstoff und reguliert damit Dürren, reinigt Wasser und reduziert die Hochwassergefahr, gibt Menschen, Tieren und Pflanzen Lebensraum."

Der Boden sei daher entscheidend für die Bewältigung des Klimawandels, die größte gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Es brauche also eine gemeinsame Kraftanstrengung zwischen dem Gesetzgeber, der Wissenschaft, den Medien und der Wirtschaft, dieses Wunderwerk Boden am Leben zu erhalten. "Das sind wir unseren Kindern und Kindeskindern schuldig!“, so Weinberger und Tschannett abschließend.

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