Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Agrarantrag 2024 Maisaussaat Erster Schnitt 2024

topplus Aufgedeckt

Steirische Rinderzucht im Fadenkreuz

Die steirische Rinderzucht sieht sich aktuell mit mehreren Vorwürfen konfrontiert: Bei der Exterieurbewertung wurde getrickst. Zudem fühlen sich einige Landwirte bei Tierverkäufen hintergangen. Und ein kleiner Spermavertreiber beklagt massive Behinderungen. top agrar hat recherchiert.

Lesezeit: 9 Minuten

Der Beste, Maximal, Razfaz, Defacto* – alles Namen bekannter Alt- und hoffnungsvoller Jung­vererber der Rinderzucht Steiermark. Doch stimmen deren Zuchtwerte überhaupt? Der im Frühjahr aufgeflogene Skandal um die Exterieurbewertungen der Nachzuchtlinien lässt daran zweifeln. Denn die Nachzuchten wurden nicht in natura in Augenschein genommen, sondern die Bewertungen einfach vom Schreibtisch aus getätigt. Damit steht letztlich der Verdacht auf Verfälschung von Zuchtwerten, Daten- und Dokumentenfälschung bis hin zu Täuschung und Betrug im Raum.

Die Nachzuchten wurden nicht in natura in Augenschein genommen, sondern die Bewertungen einfach vom Schreibtisch aus getätigt.

Die Bauern können aber unbesorgt sein. Neben dem Exterieur fließen noch weitere Merkmale in die Zuchtwertschätzung ein. Auch gibt es in der Stei­ermark mehrere Nachzuchtbewerter. Trotzdem sollte so ein Einzelfall nicht vorkommen. Von dem dafür verantwortlichen Zuchtberater habe man sich getrennt, so der damalige Verbandsgeschäftsführer. Die falsch erhobenen Daten wären auch umgehend bei der ZuchtData korrigiert worden (siehe Heft 5/21, Seite  9). Besagter Exmitarbeiter wollte sich gegenüber top agrar nicht äußern.

Das Wichtigste zu den Themen Rind + Milch mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Nur 131 „Fehler“ gemeldet

Laut ZuchtData, über diesen Tochterbetrieb der ZAR/Rinderzucht Austria werden die Zuchtdaten zusammengeführt, habe es bei der aktuellen Zuchtwertschätzung gegenüber den letzten zwei Terminen tatsächlich Anpassungen bei drei nachkommen­ge-prüften Stieren und deren Söhne gegeben. Dies sei aber nicht dem „steirischen Zwischenfall“ geschuldet, wurde betont. Denn bei den aus der Grünen Mark korrigierten Exterieurwerten von 131 Töchtern gab es insgesamt 76 verschiedene Väter. Bei einem davon wären sechs Töchter korrigiert worden, aber das würde bei dessen über 1.000 bewerteten Töchtern kaum ins Gewicht fallen.

Diese Affäre scheint aber noch nicht ausgestanden. Steirische Züchter berichten, dass die Bewertungen des Rinderzucht-Exmitarbeiters erst nach und nach nachkontrolliert werden.

Sonderbare Verkäufe

Im Zuge unserer Recherchen zur „Schreibtisch“-Causa klang in den Gesprächen mit den steirischen Landwirten beim Thema Tierzucht immer wieder Skepsis und Kritik durch. Besonders kritische sehen das Konglomerat aus Rinderzucht, Genostar, Leistungskontrollverband (LKV) und Kammer als einen extrem starken „Machtapparat“, dem man als Züchter unterworfen sei und kaum entrinnen könne. Die wenigsten Landwirte, mit denen wir gesprochen haben, wollten daher mit Namen zitiert werden.

Bauern berichten, dass ein Viehhändler bereits bei der Stalltür gekaufte Tiere auf Versteigerungen auftreibe.

Auch kamen in den Gesprächen mit den Bauern neue ­Vorhalte und mögliche Ungereimtheiten auf: Beispielsweise kam es bei einer Viehzuchtgenossenschaft (VZG) zum Rückstau von Zuchtkalbinnen, die nicht als solche vermarktbar waren. Trotz korrekter Meldung habe die Rinderzucht die ausländischen Besamungsstiere im Zuchtbuch falsch eingetragen. „Erst nach langem Hin und Her und Androhung weiterer Schritte wurde der Fehler behoben“, berichtete Markus Spreitzer von der VZG Ranten. Dafür wurde der VZG im Gegenzug eine erneute Stierkörung in Rechnung gestellt.

Rechtlich heikler hören sich Vorhalte betreffend der Tierverkäufe an: So berichteten der Redaktion bekannte Bauern, dass ein Viehhändler bereits bei der Stalltür gekaufte Tiere dann auf Versteigerungen auftreibe. Allerdings werden dann dort die ursprünglichen Besitzer als Verkäufer angegeben. Mehrerlöse wären die Folge, die betreffenden Bauern fühlen sich vom Verband regelrecht verkauft. Mit den AMA-Meldedaten könnten die Manipulationen bewiesen werden, so die Bauern und wollen Schadenskompensation.

In einem anderen Fall (allerdings hier bei direktem Auftrieb und Verkauf via Rinderzucht) gab es zwei gleichlautende Abrechnungen, auf denen verschiedene Käufer aufschienen. Es sei aber kein Treuhandverkauf gewesen, der tatsächliche Käufer wäre nicht der Ersteigerer.

Mit diesen doch eigenartigen Verkaufsusancen konfrontiert, gab sich Matthias Bischof, Obmann der Rinderzucht, überrascht. Für Zuchttiere könne er solche Vorfälle „nahezu ausschließen, weil alle Züchter direkt auftreiben.“ Er bietet an, dass sich geschädigt fühlende Züchter mit ihm in Kontakt treten sollen, um die Fälle abzuklären, eventuelle Schäden festzustellen und diese dann aus der Welt zu schaffen.

Liste an „Missständen“

Nach der von der Rinderzucht und der LK bereits für erledigt erklärten „Schreibtisch-Causa“ dürfte aber ein schon lange währender Spermakrieg wieder ordentlich aufleben. Dies geht aus der Beschwerde des Landwirtes und kleinen Spermahändlers Alfred Mandl an die LK in deren Funktion als Tierzuchtbehörde hervor. Darin enthalten sind folgende Hauptvorwürfe:

  • Der vorgeblich unparteiische Rinderzucht/Genostar-Anpaarungsplaner stel­le de facto nur das laufende Sperma-Verkaufsprogramm dar.
  • Rindersamen werde durch Rinderzuchtmitarbeiter verkauft und – im Widerspruch zur Rechtslage – ausgeliefert.
  • Im Zuge der amtlichen Milchleistungskontrollen werden Anpaarungen mit Genostar-Stieren gemacht und dies in der Folge auch kontrolliert.
  • Vor allem Mitarbeiter der Rinderzucht würden die Normande-Rasse bei jeder Gelegenheit bewusst schlecht reden und sohin diskriminieren.

David gegen Goliath

Als zugelassenes EU-Samendepot hatte Mandl schon vor 15 Jahren die damaligen Gebiets- und Verkaufsmonopole der LK-Besamungsstationen gesprengt. Das Land Steiermark wurde am Zivilrechtsweg verurteilt, die EU-rechtswidrigen Landestierzuchtgesetze mussten geändert werden. 

Aktuell ortet er wieder eine starke Marktbehinderung durch eine marktbeherrschende Stellung des Rinderzuchtverbandes im Verein mit Genostar und dem LKV. Bauern wie Tierärzte, die er bisher zu vollster Zufriedenheit beliefert hatte, würden sich mit Verweis auf den Druck des offiziellen Rinderzucht-Blocks zunehmend von ihm abwenden. Daher erstattete er Beschwerde bei der Tierzuchtbehörde LK. Gleichzeitig beantragte er die sofortige Abstellung rechtswidriger Verhaltensweisen.

Bei der Rinderzucht, Genostar, LKV und dem Milchlabor steht derselbe Geschäftsführer am Ruder. Ein Spermahändler ortet daher eine Marktmacht.

Als Hauptproblem sieht Mandl, dass die Rinderzucht bei ihren eigenen Stieren hoheitlich die Leistungsdaten der Töchter erhebt. Bei den diesbezüglichen Vor-Ort-Besuchen werde das dann mit dem Verkauf der Samen aus dem eigenen Verkaufsprogramm kombiniert.

Mandl hält dies nach den einschlägigen EU-Vorgaben und dem garantierten freien EU-Waren- und Dienstleistungsverkehr für absolut unvereinbar. Die­se Marktmacht und auch möglicher Marktmissbrauch zeige sich nach Mandl auch im Umstand, dass bei der Rinderzucht, Genostar, LKV und dem Milchlabor derselbe Geschäftsführer am Ruder steht. Gleichzeitig ist dieser Angestellter und Spitzenbeamter der LK und sitzt damit in der Aufsichtsbehörde. „Eine Unabhängigkeit der einzelnen Organisationen bzw. deren Bediensteten in Sachen Produktion, Beratung, Bewertung und Kontrolle bzw. Behörde ist schon alleine durch diese Personalunion faktisch unmöglich“, schrieb Mandl an die Tierzuchtbehörde.

Gegenüber top agrar wurde Mandl noch deutlicher: „Nach der EU-Ver­ordnung 2016/1012 müssten die Tierzuchtbehörden absolut unabhängig und frei von Zwängen oder Vorgaben agieren. Das ist in der Steiermark keinesfalls gegeben. Hier kontrolliert sich die LK als Miteigentümer der Wirtschaftsbetriebe Rinderzucht und Genostar als Tierzuchtbehörde gleich selber.“

Erschwerend komme hinzu, so Mandl, dass alle „relevanten Personen auch in allen Gremien bis hin zu den Bundesverbänden sitzen.“ Echte Konsequenzen aus möglichem Fehlverhalten einzelner oder des gesamten steirischen Tierzucht-Blocks werde es sohin kaum geben, so seine Befürchtung.

Saloppe Behördenantwort

Die Antwort der Tierzuchtbehörde (unterfertigt von LK-Präsident Franz Titschenbacher und Kammerdirektor DI Werner Brugner) liest sich wie ein Freibrief für die angeprangerten Punkte. Die konkreten Kritiken, Fragen und Anträge des Bauern und Mitbewerbers am Spermamarkt wurden nur oberflächlich beantwortet.

Die Unabhängigkeit der Tierzuchtbehörde etwa wird im Schreiben von der LK damit begründet, dass die Behördenagenden die Rechtsabteilung wahrnehme. Gleichzeitig relativiert man dies mit der Angabe, dass der Leiter der Abteilung Tiere die Abteilung Recht in tierzuchtfachlichen Belangen unterstütze.

In der LK-Tierabteilung arbeiten ­vie­le Verantwortliche aus dem gesamten Zuchtblock. „Der LK-Bereichsleiter und Mehrfachgeschäftsführer Peter Stückler genauso wie einzelne LKV-ler und Zuchtberater“, echauffiert sich Mandl. Eine tatsächliche Unabhängigkeit der Behörde LK sehe er daher nicht.

Alfred Mandl: Meine Kritikpunkte wurden nicht oder nur unvollständig beantwortet.

Wie soll das im Streitfall funktionieren? Ein vom Rinderzucht-Block vermeintlich geschädigter Landwirt ruft die Rechtsabteilung seiner Standesvertretung um Beratung und Rechtshilfe an und der dort angesprochene Jurist soll dann gegen die vom Bauern Angeprangerten als Behörde vorgehen?

Mandls resignierendes Fazit zum ­Behörden-Schreiben: „Meine Kritikpunkte wurden nicht oder nur unvollständig beantwortet. Von EU- und Bundesgesetzen will man auch nur jene Stellen kennen, die der Rinderzuchtorganisation nützen. Dass die Milchleistungskontrolle nicht amtlich ist, höre ich auch zum ersten Mal.“

Verbandschef dementiert

Auf die vielen Kritikpunkte ange­sprochen, reagierte Rinderzucht-Obmann Matthias Bischof (dieser ist auch ­Landeskammerrat, sowie Obmann-Stv. vom LKV und der Obersteirischen Molkerei) gelassen und gab aus seiner Sicht auf allen Linien Entwarnung:

Die Mandl-Vorhalte bezeichnete Bischof als „vollkommen falsch“.

  • Kritikern der Mehrfachbeschäftigung des Rinderzucht-Geschäftsführers will Bischof auch ganz generell ins Stammbuch schreiben: „Mögen jene, die die Beschäftigung des DI Peter Stückler, einer der besten Männer des Landes, versuchen madig zu machen, nur einen kleinen Prozentsatz der Qualitäten dieses Mannes an den Tag legen.“
  • Den Vorwurf, nur eigenes Spermamaterial anzubieten, stimme nicht. Man biete den Züchtern auch Samen anderer Stationen an, sofern die Qualität passe.
  • Zur behaupteten Diskriminierung der Normande-Rasse entgegnete Bischof, dass es tierzuchtrechtliche Vorgaben zu erfüllen gelte. Auf Versteigerungen müssten diese daher klar als Nutztiere klassifiziert werden.
  • In Sachen Spermaauslieferung mit Privatautos bestätigte Bischof eine diesbezügliche Anzeige. Diese wurde verworfen. „Sollten die Behörden uns neue Vorgaben machen, werden wir diese natürlich umsetzen.“
  • Auch die Tierzuchtbehörde werde von einer höheren Instanz geprüft. Wenn diese Veränderungen anordnen sollte, werde man sich fügen, so Bischof.

Auswirkungen sind noch offen

UBV-Kammerrat Josef Gottlieb Wallner versucht auf ZAR-Ebene eine Unter­suchung der Vorfälle in Form einer Mediation zu etablieren. Restlos aufgeklärt können diese ohnehin nur werden, wenn sich die Geschädigten offen deklarieren und Wiedergutmachung verlangen. Denn: Wo kein Kläger, da auch kein möglicher zu sühnender Schaden.

Die steirischen Vorfälle beschäftigt die Rinderzuchtszene auch außerhalb Österreichs. Offiziell wolle man sich aber „in innerösterreichische Belange nicht einmischen“, tönte es etwa aus Bayern. Mandl indes ist mit den LK-Antworten gar nicht zufrieden und lässt weitere Schritte offen.

* Klarstellung: Bei den genannten Vererbern handelt es sich allesamt um Stiere der Genostar Rinderbesamung GmbH, die im Besitz zu je 25% der LK Steiermark, der Rinderzucht Steiermark, der LK NÖ und der NÖ Genetik steht. Die Stiere GS Der Beste, GS Maximal und GS Razfaz stammen aus steirischen Zuchtbetrieben. GS Defacto hat den Stier GS Der Beste als Vater, stammt aber aus einem NÖ-Zuchtbetrieb.

Die Redaktion empfiehlt

top + Das Abo, das sich rechnet: 3 Monate top agrar Digital für 9,90€

Unbegrenzter Zugang zu allen Artikeln, Preis- & Marktdaten uvm.

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.